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Schweigen

Wir schweigen über unsere Ängste, weil sie uns verletzlich machen, ohne überhaupt jemandem die Chance zu geben, uns zu helfen. Wir schweigen über viele unserer Vorstellungen, weil sie nicht der Norm entsprechen. Kein Partner, Kinderwunsch, Eigenheim? Keine Hochzeit, Karrierepläne und Lebensversicherung?
Obwohl «weil es für mich so stimmt» die richtige Antwort wäre, rechtfertigen wir uns immer wieder und enden schliesslich im Schweigen, weil es doch so am einfachsten ist. 

Wir schweigen darüber, dass wir erschöpft sind, abends müde ins Bett fallen und uns manchmal wünschen, dass sich die Arbeit von selbst erledigt, obwohl sie uns vor einigen Wochen noch grossen Spass bereitet hat. 
Wir schweigen darüber auch mal traurig zu sein, dass es doch nicht so ist, wie wir es erhofft haben. Dass das Manifest doch nicht eingetreten ist, dass Wünsche zerplatzen wie Seifenblasen. 
Wir schweigen darüber, wie es um uns manchmal wirklich steht, aus Angst, nicht verstanden, abgestempelt oder bemitleidet zu werden. 

Wir schweigen beispielsweise über frisch gebackene Mütter, die sich das Neugeborene sehnlichst gewünscht haben, aber in ihrer postnatalen Depression nicht über ihr Glück freuen können. Und das sind ganze 15 % aller frischgeborenen Mütter, also etwa jede 7. Frau. Und trotzdem spricht niemand darüber. Man steht doch unter Druck, man soll sich doch freuen, die Welt wurde einem geschenkt. Und was, wenn man die Welt gerne wieder zurückgeben möchte? Schon einmal von einem Mann mit postnatalen Depressionen gehört? Auch nicht? Und trotzdem ist es so, dass etwa 10-15% der Väter davon betroffen ist – also einige. Aber weshalb ist es ein Tabuthema wie viele andere auch? Wir alle wissen davon, aber machen es durch unser Schweigen inexistent. 

Und wenn wir uns Hilfe geholt haben, bei einer externen Beratung, einem Psychologen oder Psychiater, bei einem Facharzt oder auch einem alternativen Mediziner, so schweigen wir auch darüber, weil wir doch keine Schwäche zeigen wollen, anstatt es als Stärke umzuwandeln und anderen als Lösungsweg vorzustellen. 

Wir schweigen darüber, dass das Leben uns manchmal die Kehle zuschnürt. Weil wir geschockt sind, weil wir betroffen sind, weil wir nicht mehr weiterwissen. Und trotzdem machen wir stets weiter, im Glauben aller, dass es eben weitergeht. Indem wir viel sprechen und doch nichts sagen. 

Wir schweigen über das Leben, obwohl wir damit niemandem helfen. 
Und trotzdem tun wir es. 

Lass uns das Schweigen brechen. 

Alles Liebe,
Julia

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